Im Rahmen eines Workshops wurden die Jugendlichen mit der Frage konfrontiert: „Woran erkennt man einen Helden und woran einen Schurken?“ Eine Schülerin äußerte dazu: „An ihrem Aussehen auf den Bildern. Die einen lächeln und stehen aufrecht, die anderen blicken düster drein und sind auf irgendeine Weise entstellt.“ Doch schnell stellten die Jugendlichen fest: Eine bloße Beurteilung nach dem Äußeren wird der Komplexität von Menschen nicht gerecht. Und dennoch bedienten sich die Nationalsozialisten genau solch einfacher Kategorien, als sie über das Schicksal der in Hadamar ankommenden Patienten entschieden. Dazu wurde die eigentliche „Landesheilanstalt“ im Rahmen der „Aktion T4“ 1940 in eine Tötungsanstalt umgewandelt. „Gutachter“ ohne persönlichen Kontakt zu den Patienten und ohne über deren Hintergründe informiert zu sein, entschieden anhand eines einzigen Meldebogens im DIN-A4-Format über die Schicksale der Menschen. Ein einfaches Minus- oder Plus-Zeichen in einem kleinen Kästchen unten auf eben diesem Meldebogen entschied über Leben oder Tod – basierend auf subjektivem Empfinden und Vorurteilen.
In einem anderen Workshop wurden Schülerinnen und Schüler mit undatierten Zitaten konfrontiert, bei denen sie zunächst anhand der Sprache eine Einordnung in die Kategorien „beschönigend, neutral oder abwertend“ vornehmen und anschließend auf eine chronologische Anordnung schließen sollten. Dabei wurde erschreckend deutlich, dass die Nationalsozialisten sich alter Ideen bedienten und diese für ihre eigenen Ziele erweiterten. Ebenso überrascht reagierten die Jugendlichen darauf, dass das Recht auf Gleichheit für Menschen mit Beeinträchtigung erst 1994 in Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. „Umso wichtiger ist daher die Beschäftigung mit den Taten der Nationalsozialisten in Hadamar“, so ein Schüler, „da sich politische Strömungen heutige wieder dieser Sprache bedienten und diese instrumentalisieren.“
Zwischen Januar und August 1941 fielen den Nationalsozialisten in Hadamar durch systematisches Vergasen mehr als 10.000 Menschen zum Opfer; von 1942 bis 1945 waren es weitere 4.400 Personen durch Verhungern und Vergiften durch Überdosierung. Wie konnte es so weit kommen?
Im Verlauf der Workshops lernten die Schülerinnen und Schüler, wie es die Nationalsozialisten durch gezielte Propaganda schafften, Vorurteile systematisch in der Gesellschaft zu verankern. Damals wie heute prägen Medien unser Bild von der Welt. Was heute TikTok oder Instagram für uns sind, waren damals Plakate und Propagandafilme. Überall begegneten die Menschen den gleichen Botschaften – wieder und wieder wurden ihnen „Feindbilder“ vor Augen geführt: Zwangsarbeiter, „jüdische Mischlinge“ und Menschen mit „angeborenem Schwachsinn“ galten als Bedrohung. Scrollen wir durch unsere „sozialen“ Medien, so erscheint fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Frage berechtigt: Wo stehen wir heute in Sachen Vorurteile?
Um sich der Kraft von Vorurteilen bewusst zu werden, erhielten die Jugendlichen am Ende des Workshops eine Aufgabe, die sie auch mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, teilen möchten:
Wählen Sie einen Tag im Monat, an dem Sie bewusst in jeder Person, der Sie begegnen, das Gute suchen.
(K)eine einfache Aufgabe, oder?
(Sabrina Geimer, Ina Person, Carolin Reiber)